Immer Elternunterhalt?

  • 18. April 2017
  • Thomas Klein

Beim Elternunterhalt dauert die Korrespondenz mit dem Sozialamt häufig sehr lange. Muss ich dennoch zahlen?

Immer Elternunterhalt?

Im Rahmen unserer beratenden und gerichtlichen Praxis zum Thema Elternunterhalt erleben wir immer wieder folgende Erscheinung:

Nachdem der Antrag auf Übernahme der Heimkosten für das im Pflegeheim befindliche Elternteil gestellt wurde, dauert es Monate, teilweise über ein Jahr, bevor der zuständige Sozialhilfeträger reagiert.

Muss ich als Unterhaltspflichtiger nach so langer Zeit dann überhaupt noch Unterhalt zahlen?

Aktuell hat sich das OLG München mit einer derartigen Konstellation beschäftigt und hierfür richtungsweisende Aussagen getroffen.

Das Gericht befasste sich akutell mit der Frage, ob in derartigen Fällen der Unterhalt ggf. verwirkt ist, also nicht mehr geltend gemacht werden kann und entschied:

 

Eine Verwirkung von Unterhaltsansprüchen kommt dann in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sogenanntes Zeitmoment), und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (sogenanntes Umstandsmoment).2. Für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ist das Zeitmoment regelmäßig bereits für Zeitabschnitte, die bei Untätigkeit des Unterhaltsgläubigers mehr als ein Jahr vor dem erneuten Tätigwerden zurückliegen, zu bejahen. Dies gilt auch dann, wenn die aus übergegangenem Recht klagende Behörde tätig wird .

3. Eine Rechtswahrungsanzeige der Behörde, auf die der Unterhaltsanspruch übergegangen ist, reicht allein nicht aus, um dem Umstandsmoment der Verwirkung dauerhaft begegnen zu können.

 

Was bedeutet dies für Sie?

Die gesetzliche Grundlage des Rechtsinstituts „Verwirkung“ wird hergeleitet aus dem Grundsatz von Treu und Glauben . Eine Sonderregelung für den nachehelichen Unterhalt findet sich daneben in § BGB § 1585 b BGB § 1585B Absatz III BGB. Diese Vorschrift enthält jedoch keine abschließende Sonderregelung; deshalb können grundsätzlich alle Unterhaltsansprüche, einschließlich Kindesunterhalt, verwirkt werden. „Treuwidrigkeit“ reicht aus; „grobe Unbilligkeit“ im Sinne der §§ 1579 Nr. 8; 1611 I 2 BGB ist nicht erforderlich.

Das sagt das OLG München:


Der übergegangene Anspruch auf Elternunterhalt ist nach Erkenntnis des OLG München für die Zeit bis zu einem Jahr verwirkt.

Zu prüfen waren allgemeinen Regeln folgend das „Zeitmoment“ und das „Umstandsmoment“ bei der Verwirkung


a) Zeitmoment


An das Zeitmoment sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH im Unterhaltsrecht keine strengen Anforderungen zu stellen: „mehr als ein Jahr“ kann ausreichen. Dafür ist unter anderem maßgeblich, dass Unterhaltsrückstände rasch zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen können; es geht also um den Schutz des Unterhaltsschuldners. Dieser Gedanke trifft auch dann zu, wenn der Unterhaltsanspruch auf einen Leistungsträger übergegangen ist: Das Argument, dass ein solcher, anders als der Unterhaltsberechtigte selbst, nicht dringend auf die Zahlungen angewiesen sei und deshalb länger abwarten dürfe, ohne treuwidrig zu handeln, greift im Kontext des Zeitmoments nicht.


b) Umstandsmoment


Zu dem Zeitmoment müssen „besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer der Unterhaltsverpflichtete sich nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde“. Das so definierte Umstandsmoment muss sich einerseits von dem Zeitmoment unterscheiden und seine eigenständige Bedeutung behalten; andererseits ist eine „besondere Vertrauensinvestition“ nicht erforderlich. Vielmehr reicht es in der Regel aus, wenn von dem Unterhaltsschuldner erwartet werden darf, dass er seine Lebensführung seinem verfügbaren Einkommen anpasst. Außerdem muss der bisherige Schriftwechsel einigermaßen zügig verlaufen sein, so dass ein längeres Schweigen nicht als normal erscheint, sondern den Eindruck erwecken kann, die Sache solle nicht weiterverfolgt werden.

Im Fall stellt das OLG München nur auf eines dieser Kriterien ab, nämlich auf den bisher zügigen Schriftwechsel. Wie verhält es sich dagegen mit der weiteren Voraussetzung? Durfte der Antragsgegner, als die Behörde nach einem bisher zügig geführten Schriftwechsel etliche Monate schwieg, seine Lebensführung an sein verfügbares Einkommen anpassen? Dafür kommt es auf das Einkommen und die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners in dem relevanten Zeitraum an. Die eigene vorgerichtliche Unterhaltsberechnung des Antragsgegners, wonach er „höchstens 15 Euro monatlich, im konkreten Fall jedoch gar nichts“ für den Elternunterhalt aufbringen könne, müsste wenigstens vertretbar gewesen sein. Hatte der Antragsgegner ein so üppiges Einkommen, dass er auch unter Berücksichtigung seiner Ausgaben den von der Behörde geforderten Betrag von 835 Euro monatlich erkennbar und ohne weiteres aufbringen konnte, so dürfte es an dem Umstandsmoment fehlen. Dafür spricht auch der Rechtsgedanke des § BGB § 1585 b BGB § 1585B Absatz III BGB: Wer keinen Unterhalt zahlt, obwohl er selbst genau weiß, dass er leisten kann, der entzieht sich der Leistung absichtlich.

 Hält sich der Unterhaltsverpflichtete für leistungsunfähig, so wird dies häufig zumindest vertretbar sein.

 

Was ist die Rechtsfolge?


Ist der Berechtigte über ein Jahr lang untätig geblieben, so sind damit nicht alle Unterhaltsansprüche endgültig verwirkt. Vielmehr bleiben Ansprüche für den Zeitraum davor, also für das Jahr vor dem Aufforderungsschreiben bestehen.  Ein redlicher, nach Treu und Glauben handelnder Unterhaltsschuldner wird seine Lebensführung also nicht endgültig und vollständig auf den Wegfall der Unterhaltsverpflichtung einrichten, wenn der Berechtigte sich über ein Jahr nicht mehr gemeldet hat. Vielmehr wird er auch dann noch einen Betrag auf der hohen Kante liegen lassen, der ausreicht, um den Unterhaltsrückstand für ein Jahr zu tilgen.

Insgesamt erreicht man aber immerhin, dass ein Unterhaltsrückstand von einem Jahr bei entsprechend "langsamen" Verhalten des Sozialhilfeträgers so nicht mehr geschuldet ist.

Sind Sie ggf. betroffen?

Wir beraten Sie gerne.