Der kranke Arbeitnehmer

  • 02. Dezember 2017
  • Thomas Klein

Häufig bezweifeln Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers wegen einer Erkrankung. Was gilt hier eigentlich? Ein Überblick...

Der kranke Arbeitnehmer

Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, hat er nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Doch was, wenn beim Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommt?

Was gilt dann?


1. Welche Bedeutung hat die AU?


Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich vorgesehene Nachweismittel, mit dem der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer nachweist. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu.

Bestreitet der Arbeitgeber trotz der vorgelegten ordnungsgemäß erteilten ärztlichen Bescheinigung die Arbeitsunfähigkeit, muss er Tatsachen vortragen, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen und dadurch den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttern (BAG, Urteil v. 19.2.1997, 5 AZR 83/96, NZA 1997, 652.)


2. Kann der Arbeitgeber das Gegenteil nachweisen?

Grundsätzlich hat der Arbeitgeber das Recht dazu.
Es ist seine Sache, den Gegenbeweis zu erbringen. Dabei ist jedoch für eigene Nachforschungen der Rahmen recht eng gesteckt. Er beschränkt sich auf die allgemein zulässigen Maßnahmen – so darf die Observation durch einen Privatdetektiv selbstverständlich nicht in die Privatrechte des Arbeitnehmers eingreifen.

3. Woraus können Zweifel des Arbeitgebers resultieren?


Quelle für Zweifel können sein:

● aus der Bescheinigung selbst

● auf tatsächlichen Umständen ihres Zustandekommens

● sie können sich durch Verhaltensweisen des Arbeitnehmers aufdrängen.

 

4. Wann ist der Beweis des Gegenteils durch den AG erbracht?


Beispiele für Anhaltspunkte, die die Richtigkeitsvermutung erschüttern können:

-Wenn der Arzt die Bescheinigung ausgestellt hat, ohne den Arbeitnehmer zu untersuchen, ist die Richtigkeitsvermutung der Bescheinigung zumindest erschüttert.


-Ebenso gibt eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungstag liegenden Tag sowie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit, soweit die Rückwirkung zwei Tage übersteigt, Anlass, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert anzusehen (LAG Köln, Urteil v. 17.4.2002, 7 Sa 762/01, NZA-RR 2003, 15 ff.)

5. Darf der AG den medizinischen Dienst einschalten?

Bei begründeten Zweifel an der AU ist auch dies ein Recht des Arbeitgebers.
Ein probates Mittel zur Erschütterung des Beweiswertes ist es, die Krankenkasse des Arbeitnehmers um eine Begutachtung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu bitten. Durch ein entsprechendes Gutachten kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden.


Der Gesetzgeber sieht eine entsprechende Verpflichtung der Krankenkassen vor, wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit sind insbesondere anzunehmen, wenn

-Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder


-der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder


-die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist. 


Dabei handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung; es können auch andere Gründe zu einer Begutachtung führen, wie etwa

-Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Hinblick auf das bescheinigte Krankheitsbild,
die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nach innerbetrieblichen Differenzen,


-Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit.


Der Arbeitgeber muss seine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit letztlich konkret und schlüssig darlegen, denn die Krankenkasse kann sich zwar nicht über die Zweifel des Arbeitgebers einfach hinwegsetzen. Sie kann allerdings auf die Begutachtung verzichten, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit ohne Zweifel aus den vorliegenden Unterlagen ergeben.

6. Wem muss das Ergebnis mitgeteilt werden?


Das Ergebnis erfahren zunächst der behandelnde Arzt und die Krankenkasse. Der Arbeitgeber erhält eine entsprechende Information, solange noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht und das Ergebnis der Untersuchung mit der Bescheinigung des behandelnden Arztes nicht übereinstimmt.

7. Was gilt, wenn der Beweiswert der AU nicht mehr gilt?


Ist der Beweiswert der Bescheinigung aber erst einmal erschüttert, hat der Arbeitnehmer, wenn er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung erhalten will, anderweitig sein Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. In einem solchen Fall ist die Aussage des behandelnden Arztes sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens entscheidend. Doch es gibt noch andere Möglichkeiten:

Stellt sich letztendlich heraus, dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorgetäuscht ist, kann dies bis hin zur außerordentlichen Kündigung und der Rückforderung der Entgeltfortzahlung berechtigen.

8. Muss der kranke Arbeitnehmer zuhause bleiben?

Nein, dazu gibt es keine gesetzliche Verpflichtung.

Aber:

Es ist allerdings zu beachten, dass ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer nicht verpflichtet, sich nur zu Hause aufzuhalten. Aus normalen Verhaltensweisen wie Einkaufen, Spazierengehen etc. sind grundsätzlich keine negativen Rückschlüsse im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeit zu ziehen. Hier kommt es jeweils auf den Einzelfall an. Dabei ist sowohl die geschuldete Arbeitstätigkeit, die Ursache der Arbeitsunfähigkeit und die an den Tag gelegte Verhaltensweise während des in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgewiesenen Zeitraums zu berücksichtigen.